Tracht ist angestaubt und altmodisch? Das sehen zwei junge Frauen aus der Region ganz anders

Warum das Interesse an der traditionellen Mode steigt und ein Dirndl damit wenig zu tun hat

Die Auftrittstracht kommt bei Katja Fischer und Lisa Seeger nur für besondere Anlässe aus dem Schrank. (Foto: Lisa Seeger/Schwäbische.de)
Veröffentlicht:03.09.2022
Von:Schwäbische.de, Lisamarie Haas

Finger zusammen, Hand in die Hüfte gestützt, lächeln: Die Waldburger Trachtenjugend probt den Einmarsch. Die Lederhosen samt Hosenträgern, Hemd und Hut und die Röcke mit Schürze und Schleife sitzen. Der Trachtenverein aus dem Kreis Ravensburg probt wie jede Woche in seinem Vereinsraum unter dem Waldburger Feuerwehrhaus den Volkstanz.

Singend, klatschend, tanzend üben die Kinder und Jugendlichen ihre Choreografien. Ganz genau schauen dabei Katja Fischer und Lisa Seeger zu, geben Hinweise und sortieren die Kinder ein, wenn sie sich mal in der Choreografie verlaufen haben.

Die beiden 19-Jährigen sind die Jugendleiterinnen des örtlichen Trachtenvereins. Immer mittwochs treffen sie sich mit dem Nachwuchs und führen ihn an den Volkstanz heran. Die jungen Frauen sind selbst schon seit ihrer Kindheit im Verein. Nun engagieren sich Fischer und Seeger in ihrer Freizeit für eine alte Tradition.

Trachtenverband sieht eine Renaissance der Tradition

Sind Trachten angestaubt und altmodisch? Reinhold Frank nimmt eine Renaissance der Trachten wahr. Als Vorsitzender des baden-württembergischen Trachtenverband setzt er sich für die Pflege und Erhaltung der Bräuche, Volkstrachten, Tänze und Volksmusik ein. Er sieht in den vergangenen Jahren vor allem eine höhere Akzeptanz der Trachten in der Gesellschaft. Die entstehe auch dadurch, dass Dirndl und Lederhosen im Trend sind. Frank beschreibt es als „Trachten-Hype“, der sich vor allem auf Volksfesten zeige. Dort tragen viele Besucher die typische Bierzelt-Kleidung, um dazuzugehören, sagt er. „Das hat dann aber nichts mit unseren traditionellen Trachten zu tun.“

Diese Kleidung komme meist aus der Modebranche und nicht wie die originalen Trachten von speziellen Schneiderinnen. Als Konkurrenz betrachtet Frank den Trend aber nicht. „Wir wirken mit unserer Tracht dadurch auch normaler als noch vor 20 Jahren“, sagt er.

Warum das Dirndl nichts mit der regionaltypischen Tracht zu tun hat

Dirndl und Lederhosen werden oft in den modischen Trendfarben angeboten und sind relativ weit entfernt von der historischen Tracht – etwa was die Rocklänge betrifft. Das historische Dirndl, das um 1900 aufkam, hatte wie die in Baden-Württemberg regionaltypischen Kleider der Frauen einen knöchellangen Rock.

Damals war das Dirndl ein Modephänomen, das aus einer romantisierenden Vorstellung des Landlebens vor allem in den Städten in Bayern und Österreich getragen wurde. Farben, Schnitte und Hutformen wie der Bollenhut im Schwarzwald oder die Bodensee-Radhaube haben bei historischer Kleidung dagegen eine traditionelle Bedeutung, einen Bezug zum Brauchtum vor Ort. Der Begriff „Tracht“ kommt vom althochdeutschen Wort „traht“, und bedeutet, „dass was getragen wird“.

Früher war die Tracht oft Arbeitskleidung, ein Zeichen der Religionszugehörigkeit, aber auch Modetrend und ein Indikator für den sozialen Stand und die regionale Herkunft. Sie wurde im Zuge der kulturellen und modischen Globalisierung weitgehend zurückgedrängt, erklärt Reinhold Frank.

Aber besonders die Heimatverbundenheit wollen die Trachtenträger mit ihrer Kleidung zeigen. „Wer die Tracht trägt, pflegt die Kultur und leistet damit ein Bekenntnis zur Heimat. Und die Heimat ist dort, wo ich verstanden werde und Geborgenheit verspüre.“

In Bayern und im Schwarzwald noch mehr akzeptiert

Auch Lisa Seeger hat ein Dirndl für Dorf- oder Volksfeste und das hat sie sich auch nach ihrem Geschmack ausgesucht. „Das ist ein Dirndl zum hübsch machen, es hat mit dem Kulturellen nicht viel zu tun“, sagt sie. „Man nimmt, was einem gefällt.“

Mehr Akzeptanz für Dirndl und Lederhosen sieht auch Albert Rankel, der beim Waldburger Trachtenverein im Vorstand ist. Seiner Meinung nach ist die historische Tracht in Oberschwaben oder in Städten wie Stuttgart aber nicht so akzeptiert, wie beispielsweise in Bayern oder dem Schwarzwald. „Dort ist es noch eher normal, dass man eine Tracht zu Hause hat.“

Laut Reinhold Frank löst die Globalisierung gleichzeitig mehr Interesse an historischen Trachten aus. Dadurch würden sich viele Menschen wieder mehr für ihre Wurzeln interessieren. Der baden-württembergische Trachtenverband bekommt laut Reinhold Frank immer wieder Anfragen von Menschen, die auf der Suche nach einer bestimmten Tracht sind.

„Sie wollen wissen, wie die Tracht dort aussah, wo der Opa herkam.“ Darüber hat der Trachtenverband umfangreiche Dokumentationen und auch bereits ein Buch dazu herausgegeben. 60 Trachtenregionen in Baden-Württemberg sind darin erfasst und ihre historischen Trachten abgebildet.

Waldburger Trachtenverein trägt Allgäuer Gebirgstracht

Der Waldburger Trachtenverein gehört zur Region Oberschwaben-Bodensee und wurde in den 1920er-Jahren gegründet. Damals haben sich viele Trachtenvereine in der Region formiert. Schon etwa 45 Jahre früher gab es die ersten Trachtenvereine in Deutschland. Bayerische Auswanderer gründeten in Chemnitz oder Berlin Vereine, um ihre Heimatverbundenheit ausleben zu können.

Wegen der Nähe zum Allgäu suchten sich die Waldburger damals für ihren Verein die Allgäuer Gebirgstracht aus, wie sie auch in Leutkirch und anderen Trachtenvereinen in der Region getragen wird. Es war früher die Arbeitskleidung im Allgäu bis sie sich im 19. Jahrhundert verlor, weil sich die Weltmode ausbreitete. Die Trachtenvereine bildeten aus dem Verlust eine Gegenbewegung.

Die Auftrittstracht kommt bei Katja Fischer und Lisa Seeger nur für besondere Anlässe aus dem Schrank. (Foto: Lisa Seeger/Schwäbische.de)

Es gibt in Oberschwaben aber auch regionale Trachten, sogar unterschiedliche in jedem Ort. Dort trug die städtische Bürgerschicht um 1830 Radhauben aus Palmettenspitze, lange Seidenkleider, Mailändertuch und die Männer trugen Dreispitz und einen langen Kirchenmantel.

In Waldburg machte man sich in den 1970er Jahren auf die Suche nach einer lokalen Tracht. Aber die gab es nicht, erklärt Lisa Seeger, weshalb sich die Vereinsgründer für die sportlichere Gebirgstracht entschieden, passend zum auf den Volkstanz ausgelegten Verein.

Manche der Kleider sind schon 50 Jahre alt

Albert Rankel

Die Männer in Waldburg tragen heute eine graue Jacke, am Hut eine Adlerfeder und Bund- oder Lederhose. Die Frauen tragen einen grauen Lodenrock mit einer grünen Schürze, die das Allgäu und die Berge symbolisieren sollen.

Dazu kommt das weiße, oft selbst bestickte oder vererbte Schultertuch. Die Trachten werden von Katja Fischers Großmutter geschneidert. „Manche der Kleider sind schon 50 Jahre alt“, sagt Albert Rankel. Sie werden immer weiter gegeben, vor allem wenn die Kinder herauswachsen. Für jeden passt die Schneiderin die Kleidung an.

Viele historische Trachten gibt es in der Region

Trachtenträger gibt es im Südwesten aber nicht nur in Waldburg, auch viele andere Städte in der Region haben einen Trachtenverein und eine historische Tracht. Die Lindauer Volkstanzgruppe trägt eine Bürgertracht aus dem 18. Jahrhundert. Die Schuhplattler tragen aber wie in Waldburg die Lederhose oder die Frauen den kürzeren Lodenrock.

In Friedrichshafen gibt es neben der Gebirgstracht auch die dunkelgrüne Buchhorn-Tracht. Die Frauen tragen dort auf dem Kopf die sogenannte Bodenseeradhaube, die Männer einen breitrandigen Zylinder. In Wangen kleiden sich die Trachtenträger neben der Gebirgstracht auch in die farbenreiche historische Kaufmannstracht aus dem Jahr 1810.

Auf der Ostalb trägt man die etwas dunklere schwäbische Ostalbtracht aus dem 19. Jahrhundert, die die Bauern als Arbeitskleidung trugen. Viele verschiedene Trachtenregionen gibt es auch über den Schwarzwald, den Alb-Donau-Kreis und die Schwäbische Alb verteilt.

Vereine üben sich in Volkstanz, Schuhplatteln und Glockenspiel

Während des Dritten Reichs wurden regionale Trachtenvereine verboten. Im Nationalsozialismus sollte es nur eine einzige Volkstracht für alle Deutschen geben, die aus Dirndl und Lederhose bestand. Nach dem zweiten Weltkrieg lebte die Trachtenkultur in Deutschland und auch in Waldburg wieder auf.

Einige Männer gründeten den Verein als Schuhplattler-Gruppe neu. Das ist der Tanz der Männer in Lederhosen, die Hüpfen und Klatschen kombinieren. Dabei geht es sehr sportlich zur Sache. „Bei vielen Älteren geht das irgendwann nicht mehr“, sagt Albert Rankel, der die Gruppen seit 1981 bei ihren Proben musikalisch auf dem Akkordeon begleitet.

Daneben gibt es heute noch den Volkstanz, die Glockenspielgruppe, die Alphorngruppe und die Goiselschnaltzer – die mit Peitschen knallen. Doch gerade bei den „Burschen“, die ins Schuhplatteln einsteigen, fehlt es an Nachwuchs. Die würden lieber Fußball spielen, vermutet Rankel.

Im Alter von Katja Fischer und Lisa Seeger sind nur noch wenige dabei. Zehn junge Frauen und vier junge Männer sind noch im Verein aktiv. „Viele Jugendliche verlassen den Ort nach der Schule und gehen weg zum Studieren“, sagt Rankel.

Ganz drastisch seien die Mitgliederzahlen in der Corona-Pandemie zurückgegangen. Die Kinder- und Jugendgruppe hat vorher 50 Kinder umfasst, heute ist es nur noch die Hälfte. „Man muss die Jugendlichen bei der Stange halten, sonst hören sie auf“, sagt Lisa Seeger.

Grundschulkinder erreiche der Verein noch eher, aber zwischen den 14-Jährigen und den Aktiven klaffe ein Loch. Auch im Alter von 25 bis 40 gibt es nur wenige Mitglieder. Insgesamt hat der Verein 150 Mitglieder, 60 davon sind noch aktiv.

Nicht jeder Verein hat Nachwuchsprobleme

Laut Reinhold Frank gibt es in Baden-Württemberg rund 65 000 Trachtenträger – zudem tragen rund 15 000 Kinder und Jugendliche eine Tracht. Nachwuchsprobleme habe nicht jeder Verein, vor allem dort wo ein Fokus auf der Jugendarbeit liege nicht. „Das ist regional sehr unterschiedlich“, sagt er. „Es gibt Vereine, die Probleme haben und kaum noch Mitglieder. Es gibt aber auch solche ohne Schwierigkeiten.“

Das Vereinsleben nährt sich in Waldburg auch aus den gemeinsamen Veranstaltungen. Grillfest, Weihnachtsfeier, Stadtfeste, Auftritte bei Seniorenheimen – all das fiel während der Corona-Pandemie weg. So langsam kommt es wieder, doch noch sei es schleppend, sagt Lisa Seeger.

Ein Ziel, auf das die Waldburger hinarbeiten, sind die Heimattage im kommenden Jahr. Es ist eines der größten Feste für die Trachtenvereine und findet 2023 in Biberach statt. Die Heimattage erstrecken sich über das gesamte Jahr mit mehr als 100 Veranstaltungen.

Geplant sind laut der Veranstalter, dass dutzende Gruppen und Vereine Trachten aus ihrer Heimat zeigen – nicht nur aus Biberach und Baden-Württemberg, sondern auch aus der ganzen Welt.

Engagement aus Heimatverbundenheit

Lisa Seeger und Katja Fischer engagieren sich im Trachtenverein, weil sie schon immer dabei sind und die Gemeinschaft schätzen. Aber sie sehen es auch als Aufgabe, mit der sie etwas bewirken können. „Die Kinder lernen Hand-Fuß Koordination und verbessern sich“, beobachtet Lisa Seeger. Beide orientieren sich jetzt auch beruflich in die Richtung – Seeger wird Erzieherin, Fischer will ebenfalls in den sozialen Bereich.

Für die beiden jungen Frauen ist die Tracht ganz und gar nichts Altmodisches. Sie tragen die Kleidung mit Stolz und zeigen sie auch gerne bei ihren Auftritten, zum Beispiel auf dem Dorfplatz. Und sie sind stolz auf ihre Heimat. „Wir wollen auch für den Ort da sein“, sagen sie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert